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Freitag, 18. Mai 2012

Wenn es Nacht wird am Wörthersee

Gummi Gummi und getunte Autos werden beim nächtlichen Partymarathon in Reifnitz zur Nebensache: ein Stimmungsbericht zwischen Alkomaten, Go-go-Girls und Rammstein.

Auf der VW-Bühne gehen die Lichter aus, bei Audi, Seat und Skoda werden die pompösen Ausstellungsflächen mit Eisengittern verbarrikadiert. Hat sich das Tageslicht verabschiedet, werden beim GTI-Treffen sportliche Autos zur Makulatur.
21.30 Uhr. "Jetzt ist Party angesagt", sagt Philip (20) aus Bayern. Kollege Simon (20) aus Pinkafeld verweist stolz auf die erkleckliche Anzahl von "10 bis 15 Bieren", an denen er sich in den letzten fünf Stunden delektiert hat. Beeindruckt ist er vom "tollen Zusammenhalt der GTI-Fans". Die Party verläuft feucht-fröhlich-friedlich.
21.47 Uhr. Auf der Hauptbühne beim BBS-Gelände, wo untertags kiloweise Autogummi verbrannt wird, ist Dance-Musik angesagt. Der Herr über die Plattenteller nennt sich schlicht DER DJ und fordert die Meute zu "Vollgas" und einer "schweinegeilen Party" auf. Philip gönnt sich einen Schluck eines giftgrünen Drinks. "Wodka Apfel hält jung."
22.05 Uhr. Im Heavy-Metal-Zelt ist "Headbangen" en vogue. Eine Besucherin kämpft mit Gleichgewichtsstörungen, während im Hintergrund die Rettung mit Blaulicht ausrückt. Wohl nicht wegen des Müllcontainers, der einem Besucher mit hohem Aggressionspotenzial zum Opfer fiel.
22.12 Uhr. Ein Autofreak tut es dem neben ihm geparkten, grünen VW gleich und legt sich wie ein Käfer mitten auf die Straße. Als sich ein Polizeiauto nähert, springen er und seine Begleiterinnen panisch auf die Seite.
22.20 Uhr. Die musikalische Vielfalt ist irritierend, während aus dem Partyzelt Rammstein dröhnt, fährt ein GTI mit Polkamusik vor. Die Zuschauer sind jedoch viel mehr von der exaltierten Show der "Temptation Dances" beeindruckt. Zu den Rhythmen von "Bestrafe mich" gibt es für die Fans eine Art "Mund-zu-Mund-Besprühung" mit Wodka und Malibu Orange. Der kleine Drache Grisu würde wohl vor Neid erblassen.
22.30 Uhr. "Der Alkomat ist hier, lasst euch testen", ruft DJ Bert in die Menge. "Unter 1,5 Promille geht keiner heim." Simon und Raffael aus der Schweiz sind mit ihrem Resultat (2 bzw. 1,47 Promille) zufrieden. Stefan (18) aus dem Waldviertel kann mit erschwindelten (Schnaps vor dem Blasen) 2,42 Promille locker mithalten. Mit dem Auto fährt hier keiner mehr. "Super Mädels, super Party", meint er enthusiasmiert. Trotz herzförmiger Brille ist er allein. "Meinst krieg ich heute noch eine?"
22.45 Uhr. Beim Jägermeister-Stand freut sich Kellnerin Kathi (23) über eine Pause. "Der Job macht Spaß." Eine gute Voraussetzung bringt sie mit: "Ich liebe Jägermeister." Über zerbrochene Flaschen wird ein Bierfass zum Stand nebenan gerollt. Ein getunter Bolide nähert sich mit einem Campingsessel auf dem Dach.
22.52 Uhr. Marcel aus Linz verrät unterdessen ein Geheimnis. "Ich fahre eigentlich einen BMW mit über 300 PS, da kann der GTI mit 200 PS nicht mithalten." Wird nicht weitererzählt, versprochen. Offenbar um die Damen zu beeindrucken, parliert er nur noch auf Englisch. Viel mehr als ein breites "Yoouuu" geht sich aber nicht aus, weshalb sich bei Marlene, Veronika und Tatjana aus Gmünd in Niederösterreich die Affinität zu Fremdsprachen und die Bewunderung in Grenzen hält. "Da haben wir schon bessere Männer gesehen." Vom GTI-Treffen sind sie angetan, "wir sind heuer zum dritten Mal hier, da muss man einfach dabei sein".
23.05 Uhr. Auf der BBS-Bühne zeigen die Tänzerinnen Katja und Mela den Männern "wie man Party macht", dem DJ ist das "Wetter scheißegal". Die Menge dankt es ihm mit erhobenen Händen und mehr oder weniger rhythmischen Hüpfen zu Techno-Beats.
23.16 Uhr. Harry (32) aus Wien zeigt sich als Hutfahrer und sammelt Jägermeister-Hüte auf seinem Kopf sowie "leichte Erfrischungsgetränke" im Becher – Reagenzgläser, die mit Jägermeister gefüllt sind. "Ich komme schon seit fünf Jahren zum GTI-Treffen, es macht Spaß hier und ist einfach verrrückt", erzählt der Audi-Fahrer, der sich hier auch Ideen für sein Auto holt. Seine Bekannte Regina fährt sich immer wieder mit den Händen durch die Haare. "Es hat so geregnet, da kriege ich immer so Schneckerln", sagt sie mit einem etwas getrübten Blick. Ihre Freunde stimmen lautstark "Rapid"-Sprechchöre an.
23.27 Uhr. "Dick und durstig" legt DJ Bert jetzt auf, unterdessen wankt ein Besucher hinter dem Zelt in Richtung Bach, um seine Notdurft zu verrichten. Neben ihm kugelt eine Mülltonne in das Bachbett. Beim Spulplatz nimmt ein junger Mann mit Sonnebrille, rosa Hut und geschätzten 17 Bierbechern übereinander gestapelt, ein Bad in der Menge. Ein Fernsehteam fängt die nächtliche Partystimmung ein. Auf der seitlichen Betonabsperrung schläft ein junger Mann friedlich neben seinem Bier ein.
23.44 Uhr. In einem Lokal vergräbt ein junger Mann seinen Kopf im Dekolleté einer rothaarigen Dame. Die anderen Besucher tangiert das wenig, sie tanzen fröhlich zum "Rama Lama Ding Dong"-Song und der Titelmelodie von Baywatch. Samariter Markus steht gelassen neben dem Rettungswagen. "Nicht viel passiert heute, bis jetzt ein sehr ruhiger Abend."
0.28 Uhr. Alexandra, Sarah und Kerstin aus Niederösterreich werden immer wieder von Männern umschwärmt, sind aber offenbar zu nüchtern, um sich auf das überschaubare Niveau der Adoleszenten herunter zu lassen. Ganz abgeneigt scheinen sie einem amourösen Abenteuer jedoch nicht. "Mein Freund schläft schon lange", meint Alexandra. Und Sarah berichtet stolz, dass sie ihren Freund "natürlich gleich ganz zu Hause gelassen" hat. Beim Aprés-Ski-Klassiker "Ich bin solo" singen dann alle drei lautstark mit. Stefan und seine Freunde aus dem Waldviertel überreden eine Damenrunde zu einem Gruppenfoto vor dem Gemeindeamt. "Schatzi, schenk mir ein Foto", klingt es aus dem Zelt.
0.52 Uhr. Vor einem der Partyzelte gehen die Emotionen hoch, bis es schließlich zu einer handfesten Auseinandersetzung zwischen mehreren Jugendlichen kommt. Von Security oder Polizei ist weit und breit keine Spur. Eine junge Frau tritt mit ihren Stöckelschuhen gegen einen auf dem Boden liegenden Kontrahenten ein. Als in der Ferne ein Blaulicht auftaucht, lassen alle voneinander ab, Polizei und Rettung können durchfahren, als wäre nichts gewesen. Wenige Minuten später werden die aggressiven Gemüter bei einem gemeinsamen Bier abgekühlt.
1.07 Uhr. Vom eher überdimensionalen Spanferkel bei einem Stand ist nur noch der Kopf übrig. "Über 250 Portionen haben wir verkauft, einige gibt es aber schon noch", berichtet die Kellnerin. Bei anderen Imbissständen herrscht jetzt noch einmal hektische Betriebsamkeit, was durch so manches Mayonnaise-verschmierte Gesicht evident wird. "Cindy, bitte mach mir noch einen Langos", fordert ein einheimischer Gast. Aber auch asiatische Snacks sind um diese Zeit noch sehr gefragt.
1.15 Uhr. Der "Gummi Gummi"- und Partyplatz ist bereits geräumt und mit Gittern abgeriegelt. Im Go-go-Zelt bleibt den Tänzerinnen nichts erspart, sie müssen zu den Klängen von Andreas Gabalier ihre Hüften und andere Körperteile kreisen lassen. Während die meisten Zelte langsam schließen, herrscht im großen Partyzelt eine rauschende Stimmung, die der Szenerie beim Villacher Kirchtag ähnelt. Hier gibt es jedoch keinen Brauchtums-Hintergrund, hinter dem man Alkoholexzesse verstecken könnte. Ein ausdauernder Partygast hat in einem Heizstrahler seinen wohl letzten Tanzpartner für den heutigen Abend gefunden.
1.35 Uhr. "Andi, wenn du jetzt nicht heimgehst, siehst du mich nie wieder." So mancher sonst brave und folgsame Mann mutiert um diese Zeit zum renitenten Revoluzzer. "Ich will jetzt aber noch ins Go-go-Zelt!" Kathi und ihre Kollegen schließen den Jägermeister-Stand. "Es war ein lustiger Abend, ich freue mich schon auf morgen", sagt sie mit nicht mehr ganz leichter Zunge.
1.45 Uhr. Auch die ATV-Show "Saturday Night Fever" hat hier ihre Fans. Die Jungs haben sich zwar noch nicht gezeigt, am Straßenrand wird aber heftig über den Realitätsbezug der Serie diskutiert. "Der Molti sucht ja eigentlich die große Liebe", meint ein Blondine, die auch wissen will, dass einer der Burschen "ein zweijähriges Kind" hat.
1.55 Uhr. Die Security streift entlang des Bachbettes um etwaige "Alkleichen" zu finden. Die Freunde aus dem Waldviertel starten Verhandlungen mit den Samaritern. "Könnt ihr uns nicht ins Bollwerk bringen?" Die Antwort ist klar: "Wir sind ja kein Taxidienst!"
2.05 Uhr. Die letzten Stände werden mit Eisengittern versperrt, während aus einem Zelt noch immer Partymusik dröhnt. Der Shuttlebus nach Keutschach füllt sich noch einmal, andere wanken zu Fuß über die Landesstraße. Im Zeltlager in Keutschach kehrt langsam Ruhe ein.


Quelle: Kleine Zeitung

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